Dynamisch, Lernen, Selbstprogrammierung

Abstract:

Im Falle biologischer Systeme kann man eine Veränderlichkeit im Verhalten feststellen, die man mit 'Lernen' bezeichnet. Diese Fähigkeit setzt eine bestimmte Systemstruktur voraus, die in einem einfachen Systemmodell dargestellt wird. Heutige Computer besitzen diese Lernfähigkeit normalerweise nicht, allerdings nicht aus prinzipiellen Gründen nicht sondern nur deswegen nicht, weil die Lernfähigkeit für Computer bislang kaum genutzt wird.




Der Titel der Vorlesung heißt 'dynamisches Wissen', nicht einfach 'Wissen'. Mit dem Adjektiv 'dynamisch' wird darauf abgehoben, dass die 'Wirkungen' des Wissens, die uns in begegnen, überwiegend nicht 'statisch' erscheinen, nicht ' fixiert', sondern 'veränderlich'.

Lebewesen fallen dadurch auf, dass sie sich bei unterschiedlichen Umgebungen oder bei Veränderungen ihrer Umgebung bis zu einem gewissen Grad 'anpassen' können. Bei Menschen ist diese Anpassungsfähigkeit besonders stark ausgeprägt. Beständig kann man bei kleinen Kindern beobachten, wie sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt t auf bestimmte Reize s ein bestimmtes Verhalten r nicht gezeigt haben, und dann plötzlich tritt das Verhalten r auf und bleibt, sofern es 'erfolgreich' war. Eine solche Verhaltensänderung nennen wir 'Lernen'.

Gehen wir davon aus, dass ein minimales System Input $ IN$ registrieren und davon abhängig Reaktionen $ OUT$ zeigen kann, dann bildet ein minimales System die Struktur


$\displaystyle SYS(x)$ $\textstyle gdw$ $\displaystyle x=\langle IN, OUT, \phi_{sys}\rangle$ (1)
$\displaystyle \phi_{sys}$ $\textstyle :$ $\displaystyle IN \mapsto OUT$ (2)

Da wir hier grundsätzlich nur Systeme mit Input und Output betrachten wollen, verstehen wir hier ein 'System' grundsätzlich als Input-Output System.

Zeigt nun ein System ein Verhalten, das auf eine Lernfähigkeit hinweist, dann liegt es nahe, anzunehmen, dass ein ' dynamisches = lernfähiges' System über interne Zustände $ IS$ verfügt, die sich so ändern können, dass genau dadurch das beobachtbare veränderliche Verhalten möglich wird. Dies führt zu folgender Abwandlung der Definition eines lernenden Systems:


$\displaystyle LSYS(x)$ $\textstyle gdw$ $\displaystyle x=\langle IN, OUT,IS, \phi_{sys}\rangle$ (3)
$\displaystyle \phi_{sys}$ $\textstyle :$ $\displaystyle IN \times IS \mapsto IS \times OUT$ (4)

Damit ist noch nichts darüber gesagt, was das für Zustände sind oder wie diese Veränderungen geschehen. Im Falle des Computers können dies in einfachen Fällen einfach bestimmte '1'-'0'-Potentiale sein, die geändert werden und deren Änderungen sich auf das Verhalten auswirken. Im Falle eines Nervensystems können sie neben den Änderungen von '1'-'0'- Potentialen auch Änderungen in der Struktur von Zellen sein, die sich auf die Verarbeitung von '1'-'0'Potentialen auswirken können.

Hier deutet sich ein Unterschied zwischen Computern und Lebewesen an, der nicht grundsätzlicher Natur ist, sondern eher zeit-gebunden, der jedoch heute (vgl.2.1) überwiegend besteht, weil Computer einfach in dieser primitiven Weise programmiert (und auch gebaut) werden. Computer werden heutzutage überwiegend so programmiert, dass sie nicht nicht wirklich lernfähig sind. Man schreibt Programme, die ein für allemal festlegen, wie das Programm in bestimmten Situationen reagieren soll und man sieht bewusst keine Lernfähigkeit vor. In vielen Kontexten ist dies sinnvoll und bis zu einem gewissen Grad auch unausweichlich. Man denke nur an all jene Bereiche, die hohe Sicherheitsanforderungen haben wie z.B. Autos, Flugzeuge, Kraftwerke, medizinische Geräte, um nur einige zu nennen. Hier wäre es in der Regel tödlich, wenn das jeweilige technische System fallweise neue, unbekannte Verhaltensweisen von sich aus ausprobieren würde. Solange Anwendungssituationen vollständig überschaubar sind, da vorausberechenbar, ist solch eine Strategie sinnvoll. Handelt es sich aber um Situationen, die sich ändern können oder die so umfangreich sind, dass man nicht alle Fälle im Vorhinein überschauen kann, dann gerät eine 'deterministische' Vorgehensweise in die Krise.

Im Falle von Lebewesen gibt es keinen Ingenieur, der eine geeignete Programmierung eines Lebewesens vornimmt. Ein Lebewesen ist eine Art 'System aus der Schachtel'; es wird 'geboren', ist 'da', es fängt dann an zu 'Leben = funktionieren', und im Falle von Kindern ist über deutlich, dass sie einfach anfangen zu lernen; niemand muss ihnen das sagen. D.h. Lebewesen können sich quasi 'von Geburt an' selbst programmieren!

Der Standardcomputer verkörpert also ein bislang ein nicht-lernfähiges System $ SYS(Computer)$ gegenüber einem lebendem System als lernfähiges System $ LSYS(Lebewesen)$ (wobei wir wissen, dass wir einen Computer so programmieren können - was natürlich auch schon viele getan haben -, dass auch er lernen könnte, also $ LSYS(Computer)$.

Gerd Doeben-Henisch 2014-01-14