Computer und Nervensystem

Abstract:

Wissen zeigt sich zunächst in seinen Auswirkungen. Im Fall des Computers gründet das Verhalten in der Hardware und dem Programm, im Fall eines biologischen Systems im Körper mit dem Nervensystem. Je komplexer ein System ist, umso schwieriger ist der Aufweis der Zusammenhänge zwischen Verhalten und zugrunde liegender Struktur. Sowohl im Computer wie im biologischen Nervensystem bilden elektrische Potentiale die Grundgrößen der Informationsverarbeitung. Während im Computer aber die zu verarbeitende Information und die Verarbeitungseinheit getrennt sind, fallen diese im Nervensystem zusammen. Menschen können Computer benutzen, um ihre Fähigkeiten zu verstärken.




Wenn man das Funktionieren einer Kaffeemaschine verstehen will, reicht es nicht, das Kaffeepulver zu untersuchen, was man da eventuell eingeben muss; genauso wenig wird man einen Computer als reale Maschine verstehen, wenn man nur den Quellcode eines Programms anschaut. Im Falle eines Computerprogramms haben wir 'Symbole auf dem Papier' ; ob sie überhaupt etwas 'bedeuten' und falls ja, 'was', das entscheidet die sogenannte 'Hardware' einer Maschine, die diesen Programmcode abarbeiten soll.

Ein bisschen analog verhält es sich im Falle des 'dynamischen Wissens'. In den seltensten Fällen können wir Wissen 'direkt' betrachten, als eine Art 'Gegenstand' auf den wir zeigen können. Im Normalfall begegnet uns ' dynamisches Wissen' in seinen 'Wirkungen', die es hervorrufen kann.

Im Falle des Computers kann ein compilierter Programmcode dazu führen, dass Töne erklingen, Maschinenteile sich bewegen, dass auf einem Bildschirm dreidimensionale Objekte entstehen, dass man auf einer Tastatur wie auf einer Schreibmaschine schreiben kann, usw. Ein Computer kann auch Messwerte auslesen und sie 'interpretieren' und aufgrund seiner 'Interpretationen' dann Handlungen ausführen.

Im Fall eines Lebewesens befähigt Wissen ein Tier z.B. dazu, gezielt nach Nahrung zu suchen, sich mit anderen Tieren für eine Jagdaktion zu koordinieren, oder in bestimmten Situationen Gegenstände wie Werkzeuge zu benutzen, um eine Aufgabe zu lösen. Menschen können Sprachen lernen, mittels deren sie sich mit anderen Menschen über unterschiedlich ste Dinge verständigen können, sie können Erfahrungen und Wissen gezielt weitergeben, sie können Erfahrungen abstrakt- symbolisch darstellen, sie können komplexe Planungen von zukünftigen Abläufen vornehmen, und vieles mehr.

Alles in allem begegnet uns 'dynamisches Wissen' normalerweise durch seine erfahrbaren Wirkungen und wir versuchen, uns anhand dieser Wirkungen ein Bild darüber zu machen, welche 'Art von Wissen' wohl 'hinter diesen Wirkungen' angenommen werden muss, damit dann solche beobachtbaren Wirkungen möglich sind. Wir versuchen also, uns anhand der beobachtbaren Phänomene ein 'Bild' zu machen, theoretisch gesprochen ein 'Modell' bzw. eine 'Theorie', wodurch ' erklärt' wird, dass und welche Wirkungen entstehen können.

Im Falle des dynamischen Wissens heute (Heute = NOW = 2013) kennen wir normalerweise zwei 'Typen' dynamischen Systemen, die wir mit dem Begriff 'dynamisches Wissen' in Verbindung bringen: (i) biologische Systeme (z.B. Tiere und Menschen) sowie (ii) technische Systeme (z.B.. Computer).

Eine solche - stark vom Alltagsdenken geprägte - Klassifizierung ist aber bei näherer Betrachtung etwas wacklig. Betrachtet man z.B. die 'materielle' Welt als eine Einheit, dann repräsentiert ein Stein z.B. auch ein System, das von der Umgebung 'Input' empfängt (Energie in verschiedensten Formen), das einen 'Output' hat (z.B. die Masse, die durch die Gravitation auf die Umgebung einwirkt), und 'innere Zustände' (die spezifische Zusammenballung der Atome zu einem 'Körper' (BDY)). Führe ich diesem System genügend Energie zu, dann kann der Körper in viele kleinere Körper aufgespalten werden, also z.B. $\phi_{BDY}: IN \times BDY(t) \mapsto BDY(t+1) \times OUT$. Würde man jetzt die Menge der kleineren Körper BDY(t+1) weiterhin als 'ein' System betrachten, dann könnte man sagen, dass ein Input den Gesamtzustand des Systems verändert hat und der veränderte Zustand BDY(t+1) wirkt in seiner veränderten Form auf die Umgebung. Damit stellt der veränderte Körper in gewisser Weise ein 'Gedächtnis' dar für den vorausgehenden Zustand samt Veränderungsaktion. Wie wir wissen, könnten wir diesen Zustand beliebig weiter verändern, sowohl in Richtung weiterer Aufspaltung wie auch in Richtung neuer Verbindungen. Dabei spielt der aktuelle Gesamtzustand eine wichtige Rolle, ob und wie ein Input auf den Gesamtzustand wirkt.

Eine Ausgrenzung solcher dynamischer Körper-Systeme aus der Gesamtmenge der dynamischen Systeme wirkt daher auf den ersten Blick etwas willkürlich. Das Auswahlkriterium, das hier greift, benutzt die 'äußere Form': während eine Pflanze, ein Tier, ein menschenähnliches Wesen im Prinzip seine äußere Form 'beibehält', wenn es seine inneren Zustände ändert, ist dies bei nicht-biologischen Systemen im Allgemeinen nicht der Fall. So stellt sich z.B. die Frage, wie man z.B. viele einzelne biologische Systeme behandelt, die kooperieren (Gruppe, Schwarm, Stadt...)? Die 'Form' solcher kooperierenden Verbände kann sehr vielseitig sein und sich beständig ändern, und doch haben wir zweifellos dynamische Systeme vor uns.

Dies führt dazu, dass man bei der Festlegung, was man als dynamisches System betrachten will, entweder von einer identifizierbaren 'Form' ausgeht, die eine gewisse Konstanz zeigt, oder aber von den beteiligten ' textbfElementen', die sich unterschiedlich konfigurieren können, also eine veränderliche Gesamtform zeigen.

Nun wissen wir, dass dynamische Systeme niemals einfach so aus dem 'Nichts' entstehen. Sowohl der Computer wie auch alle Lebewesen haben jeweils eine Entstehungsgeschichte. Im Fall des Computers ist sie vergleichsweise kurz ( allerdings, nur auf den ersten Blick!), im Fall der Lebewesen ist diese Geschichte sehr lang; je nachdem, welchen Standpunkt man einnimmt, ist sie sogar so lange wie die Dauer des bislang bekannten Universums, also ca. 13.8 Mrd Jahre vor Heute.

Bezieht man diese jeweiligen Entstehungsgeschichten in die Betrachtung mit ein, dann kann man in gewisser Weise sehen, wie jene Wirkungen, die wir mit Wissen in Verbindung bringen, sich zunächst sehr, sehr langsam entwickelt haben, dann aber immer komplexer werden, mit immer kürzeren Entwicklungszeiten.

So, wie oben am Beispiel des Computers darauf hingewiesen wurde, dass die beobachtbaren Wirkungen sowohl von dem jeweiligen Softwareprogramm wie auch von der ausführenden Hardware abhängen, so verhält es sich auch bei den biologischen Lebensformen: es ist heute weitgehend akzeptiert, dass sowohl der Körperbau wie das sich in einem Körper befindliche 'Nervensystem' darüber entscheiden, welche Art von 'wissensrelevanten Wirkungen' entstehen können. Sowohl die Art der Interaktion zwischen dem Nervensystem und dem restlichen Körper wie auch die Struktur und Interaktion des Nervensystems mit sich selbst spielen hier eine Rolle.

Je komplexer ein Lebewesen und sein Nervensystem wird, um so schwieriger wird es, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den beobachtbaren Wirkungen (Aktionen, Handlungen, Bewegungen,...) und den 'verursachenden' Vorgängen im Körper, insbesondere im Nervensystem, herzustellen. Klar ist nur, dass dasjenige, was die beobachtbaren Wirkungen hervorbringt, Eigenschaften sein müssen, die mit den unterschiedlichen möglichen 'Zuständen' des Nervensystem s zu tun haben, und zwar solchen Eigenschaften von Zuständen, die 'verhaltensrelevant' sein können.

Im Falle des Computers wissen wir, dass es elektrische Potentiale sind, die wir jeweils mit '1' bzw. '0' bezeichnen, die das Verhalten einer 'Ausführungseinheit' beeinflussen können. Die Zustände dieser Ausführungseinheit können dann andere technische Geräte 'steuern'.

Im Falle des biologischen Nervensystems gibt es gewisse Parallelen: auch dort können wir elektrische Potentiale finden, die zwischen zwei Grundzuständen wechseln, die wir äquivalent mit '1' oder '0' bezeichnen können. Auch diese Potentiale können Wirkungen zeigen, allerdings gibt es im Nervensystem keine Struktur, die einer Ausführungseinheit im Computer vergleichbar wäre. Wohl aber gibt es Signalübergabepunkte, wo die '1' und '0' Potentiale des Nervensystems andere Zellen im Körper so beeinflussen können, dass z.B. 'Bewegungen' entstehen, 'chemische Stoffe' produziert werden, oder Schaltzustände anderer Zellen beeinflusst werden können (Verhinderung von Potentialen oder deren Begünstigung). Nervenzellen sind also beides in einem: Signalspeicher wie auch Ausführung.

Da wir im Falle des Computers wissen, dass ein Computerprogramm mathematisch eine 'Funktion'$\phi_{PC}$ repräsentiert, eine 'Abbildung' von Werten einer Menge X (oder vielen Mengen) auf eine andere Menge Y (die gleiche oder viele andere Mengen), können wir sagen, dass ein compiliertes Programm in Form einer Menge von Potentialen '1' und '0' in der Hardware vorliegt, die dann 'als diese Funktion' $\phi_{PC}$ die Ausführung bestimmt.

Wie sieht dies im Falle eines Nervensystems aus? Hier gibt es kein 'Programm', das den Lebewesen 'von außen' eingespeist wird. Allerdings gibt es diese Potentiale '1' und '0', die die Zustände des Nervensystems beeinflussen und die beobachtbaren Wirkungen steuern. Es liegt nahe, zu sagen, dass wir im Falle biologischer Nervensysteme trotz Fehlen eines von außen eingespeisten Programmcodes die Menge der wirkenden '1'-'0'-Potentiale als Kodierung einer mathematische n Funktion $\phi_{NN}$ auffassen können, die letztlich die Hervorbringung der beobachtbaren Wirkungen beschreibt.

Nennen wir die Menge der Eingangsgrößen an ein System $ IN$ und die Menge der Ausgangsgrößen $ OUT$, dann hätten wir dann für den Computer die allgemeine Verhaltensfunktion $\phi_{PC}: IN \mapsto OUT$ und für das Nervensystem $\phi_{NN}: IN \mapsto OUT$.

Würden wir jetzt fragen, was das 'dynamische Wissen' sein kann, das wir als 'Ermöglichungsgrund' im Sinne Kants für beobachtbares Verhalten annehmen, dann müssten wir an dieser Stelle sagen, dass es die jeweilige Verhaltensfunktion ist. Die Verhaltensfunktion setzt sich zusammen sowohl aus der Gesamtheit der unterscheidbaren Potentiale wie auch aus den jeweiligen '(biologisch/ technischen) Verschaltungen', die festlegen, ob und wie ein Potential 'wirkt' (Beispiel: Im Falle eines Computers können die beiden Potentiale {'1', '0'} im Falle einer UND- Schaltung eine '0' bewirken, im Falle einer ODER-Schaltung eine '1'. Entsprechend kann z.B. ein '1'-Potential am Axon eines Neurons entweder als '1' weitergereicht werden, wenn es nicht gehemmt wird, oder nicht, also dann ein '0'- Potential. Oder ein '1'-Potential wird von einem Axon weitergereicht; es kommt zu Transmitterausschüttungen, aber die empfangenden Membranen sind blockiert; dann wirkt das 1-Potential als '0'-Potential. usw. Es gibt hier sehr vielfältige Möglichkeiten.). Zugleich folgt daraus auch, dass natürlich die Komplexität einer Hardware bzw. eines Nervensystems mit darüber entscheidet, wie komplex die Verhaltensfunktion sein kann, die zur Wirkung kommt.

Setzt man - wie zuvor getan - 'Dynamisches Wissen' gleich mit der aktiven 'Verhaltensfunktion', dann bedeutet dies, dass mit Zunahme der Komplexität der Körper bzw. der Hardware nicht nur die Verhaltensfunktion komplexer werden kann, sondern auch damit das 'dynamische Wissen'.

Da nun ein Lebewesen wie der Mensch in der Lage ist, immer komplexere Computer zu bauen, die dann wiederum der Mensch benutzen kann, um sein eigenes Wissen zu erweitern, liegt hier die Wurzel zu einer weiteren Beschleunigung im Zuwachs von Komplexität.

Gerd Doeben-Henisch 2014-01-14