Peirce vertritt wohl am konsequentesten einen philosophischen Standpunkt im Sinne eines Phänomenalismus. Zeichenrepräsentant, Objekt, und Zeichenbeziehung sind Größen des Bewusstseins. Er unterscheidet im Prinzip drei Formen des 'Vorkommens' von Zeichen: als 'Qualizeichen', als 'Sinzeichen' oder als 'Legizeichen' (vgl. auch [308]:65f). Ein Zeichen als Qualizeichen liegt vor, wenn es um eine bestimmte 'Qualität' (z.B. eine bestimmte Farbe) geht, die als Zeichen fungiert (vgl. [321] CP2.244). Ein Qualizeichen in einem empirischen Kontext (wenngleich dadurch der Bereich des Bewusstseins nicht wirklich überschritten wird!), nennt Peirce ein 'singuläres' Zeichen, kurz ein Sinzeichen (vgl. [321] CP2.244). Vom konkreten, singulären Auftreten unterscheidet Peirce aber noch den 'abstrakten' Fall, die 'Form', die mit einer 'Bedeutung' verknüpft ist. Diese abstrakte Form eines Zeichens nennt Peirce ein Legizeichen(vgl. [321] CP2.246). Da Peirce ein Sinzeichen auch als 'Replik' eines Legizeichens auffasst, entspricht das Paar 'Sinzeichen - Legizeichen' in etwa der modernen Unterscheidung zwischen 'Token - Type' oder dem mathematischen Konzept 'Element - Menge/ Klasse'.
Parallelisiert man das phänomenologische Modell des Bewusstseins mit dem psychologischen Modell (SM - STM - LTM), dann
könnte man folgende Abbildung versuchsweise vornehmen: Qualizeichen sind Elemente von Sensorischen Speichern und
vielleicht auch vom Kurzzeitspeicher
. Sinzeichen sind primär Elemente des Kurzzeitspeichers
, vielleicht
auch vom Langzeitspeicher; Legizeichen sind primär Elemente vom Langzeitspeicher
, vielleicht auch vom
Kurzzeitspeicher
.
Benutzen wir an dieser Stelle die Unterscheidung von Bewusstsein und Nicht-Bewusstes
die wir
bei Saussure 'heraus gelesen' haben, dann bekommen wir zwei Arten von Beziehungen zwischen Bewusstsein und
Nicht-Bewusstem:
![]() |
![]() |
![]() |
(51) |
![]() |
![]() |
![]() |
(52) |
Die Abstraktionsbeziehung generiert aus vielen 'einzelnen' Vorkommnissen (z.B. Sinzeichen) jeweils eine
abstrakte Klasse, eine 'Kategorie'
(bei Peirce 'Legizeichen'), und die Instanzenbeziehung
ordnet einem
konkreten Vorkommnis im Bewusstsein eine zugehörige Klasse
zu, falls es eine gibt. Also aus vielen Beispielen
konkreter Stuhlobjekte
, die im Bewusstsein als Wahrnehmungen vorkommen, generiert die
Abstraktionsbeziehung eine Kategorie 'Stuhl'
, und sobald dies geschehen ist, wird die Instanzenbeziehung
beim nächsten Auftreten eines konkreten Stuhlobjektes
'sagen', dass dieses konkrete Vorkommnis
zur Kategorie Stuhl
gehört, also
.
Zurück zu den Unterscheidungen von Peirce: Klar ist, dass Sinzeichen mehr als eine Qualität umfassen können und
von daher eigentlich nur im Kurzzeitspeicher - also im Bewusstsein
- vorkommen können. Legizeichen als
'Abstraktionen' von Sinzeichen können nur im Langzeitspeicher
gebildet werden. Andererseits sind wir in der Lage,
im Alltag zu entscheiden, ob ein 'Etwas' in unserem Bewusstsein ein Sinzeichen als Replik (als Instanz) eines
Legizeichens ist. D.h. auch wenn sich Legizeichen nur im Unbewussten anlässlich des Auftretens von Sinzeichen bilden
können, sind wir in der Lage, wenn sich Legizeichen (= Abstraktionen, Types, Kategorien, Klassen...) gebildet
haben, die Zugehörigkeit eines Elementes zu einem Abstraktum, zu einer 'Kategorie' zu 'erkennen'.
Da eine funktionierende Bedeutungsbeziehung zwischen einem Zeichenrepräsentanten und einem Objekt
voraussetzt,
dass den 'Komponenten'
eine gewisse 'Invarianz' zukommt, müssen wir annehmen, dass daher die Bedeutungsbeziehung
nicht direkt über konkrete Elemente, nicht mittels Sinzeichen definiert ist, sondern über Legizeichen. Dies gilt
dann nicht nur für die Zeichenrepräsentationsseite, sondern auch für die Objektseite. Wenn wir von einem 'Stuhl' reden,
dann meinen wir ein abstraktes Konzept 'Stuhl', das durch viele verschiedene 'konkrete' Objekte 'realisiert' werden
kann, die qualitativ unterschiedlich sind, aber ab einem gewissen 'Abstraktionsgrad' etwas 'gemeinsam' haben, was wir
dann 'Stuhl' nennen. Daraus folgt:
![]() |
![]() |
![]() |
(53) |
![]() |
![]() |
![]() |
(54) |
Dies bedeutet, erst wenn mittels der Abstraktionsbeziehung hinreichend viele Kategorien der Art gebildet
worden sind, erst dann kann sich eine Interpretationsbeziehung
bilden
Man könnte die Positionen von Morris, Saussure und Peirce sicher noch in viele Richtungen und mit vielen Details weiter diskutieren (was auch in einer umfangreichen Literatur zu all diesen Autoren geschehen ist), für die Zwecke unserer Theoriebildung soll an dieser Stelle aber innegehalten und eine erste Zwischenbilanz gezogen werden.
Gerd Doeben-Henisch 2014-01-14