Ferdinand de Saussure (1857-1913)

Figure 4.2: Semiotische Begriffe bei F. de Saussure
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Bei Saussure findet sich kein ausgeprägter Behaviorismus wie bei Morris, sondern einerseits geht er aus von empirischen Vorkommnissen von Objekten und Zeichenrepräsentaten (insbesondere Laute), die sich über die Sinnesorgane und das Gehirn als 'Vorstellungen', als 'Phänomene' dem einzelnen darbieten. Bezüglich der Bedeutungsbeziehungen zwischen Zeichenrepräsentant und Objekt wird angenommen, dass diese mittels Assoziationen im Gehirn realisiert werden. Wie weit diese Beziehungen als solche 'bewusst' sind, bleibt unklar. Jedenfalls sind sie 'wirksam'.

Auf den ersten Blick erscheint die Struktur bei Saussure nicht so grundlegend anders zu sein als bei Morris. Doch, schaut man näher hin, dann gibt es doch interessante neue Akzente.

Zunächst einmal sprengt Saussure die Verhaltensperspektive (S-R) von Morris und bezieht sowohl Bewusstseinstatbestände mit ein (Vorstellungen = Phänomene = PH), als auch neurologische Tatbeständen (NN), die er miteinander korreliert wissen will. Allerdings gibt er sich keine Mühe, zu erklären, wie dies gehen könnte.

Von den gewählten Elementen her ist Saussure damit hochmodern: er lässt alle drei fundamentalen Erkenntnisperspektiven zu, deutet sogar eine Verschränkung an (Verhalten (SR) und Neuro (NN), heute 'Neuropsychologie', sowie Bewusstsein (PH) und Neuro (NN), heute 'Neurophänomenologie'), belässt es aber bei diesen Andeutungen.

Mit Bezug auf die adaptive Verhaltensfunktion


$\displaystyle \phi_{adapt}$ $\textstyle :$ $\displaystyle I \times IS \mapsto IS \times O$ (46)

bedeutet dies, dass er die internen Zustände $ IS$ weiter differenziert: es gibt nicht nur die Interpretationsbeziehung $Int$, die er im 'Gehirn' lokalisiert, und zwar in jenen Teilen, die 'nicht bewusst' sind, sondern es gibt die aktuellen bewussten 'Vorstellungen $PH$. Man könnte sagen


$\displaystyle CONSC$ $\textstyle \subseteq$ $\displaystyle IS$ (47)
$\displaystyle PH$ $\textstyle :=$ $\displaystyle CONSC$ (48)
$\displaystyle \overline{CONSC}$ $\textstyle \subseteq$ $\displaystyle IS$ (49)
$\displaystyle \emptyset$ $\textstyle =$ $\displaystyle CONSC \cap \overline{CONSC}$ (50)

Dies bedeutet, das Bewusstsein $CONSC$ enthält aktuelle Ereignisse und das Nicht-Bewusste $\overline{CONSC}$ bietet die Möglichkeit zu abstrahieren, zu Speichern, zu Verknüpfen, und zwar so, dass die jeweils aktuellen Ereignisse mit den gespeicherten Ereignissen über Kausalketten interagieren können. Dies korrespondiert mit den funktionalen Gedächtnismodellen der experimentellen Psychologie, die einen funktionalen Zusammenhang mit 'sensorischen Speichern' $SM$, 'Kurzzeitspeichern' $STM$, sowie 'Langzeitspeichern' $LTM$ konstruiert hat. Der Kurzzeitspeicher $STM$ entspricht dann funktional etwa dem 'Bewusstsein' $CONSC$ von Saussure.

Bezieht man die Überlegungen zu Morris mit ein, dann würde die Interpretationsbeziehung damit nach $\overline{CONSC}$ 'verschoben', d.h. $Int \subseteq \overline{CONSC}$. Daraus folgt, dass die Konstruktion einer Interpretationsbeziehung $Int$ als solche 'unbewusst' verläuft; der Zeichenbenutzer kann diese Konstruktion nur indirekt, über den 'Input'steuern; letzterer hängt ab von den 'Inhalten' des Inputs (hier: $\langle
r,o\rangle_{i}$-Elemente), und diese wiederum von der Position in der Welt und der Weltinputfunktion $ainp()$.

Gerd Doeben-Henisch 2014-01-14