Charles W. Morris (1901-1979)

Figure 4.1: Semiotische Begriffe bei Ch.Morris
\includegraphics[scale=.85]{Morris_Structure.eps}

Das erste Diagramm 4.1 zeigt die Struktur der Begriffe bei Ch.W.Morris. Zu beachten ist, dass Morris den Zeichenbenutzer aus Sicht der empirischen Verhaltensforschung (verhaltensbasierte Psychologie, im englischen Sprachraum damals der 'behaviorismus') betrachtet. Im Rahmen der empirischen Verhaltensforschung kann man zwar das 'Verhalten' eines Systems in einer Umgebung beobachten (Reize = Stimuli = S; Antwortverhalten = Responses = R (nicht zu verwechseln mit dem Symbol 'R' für einen Zeichenrepräsentanten)). Dass Menschen in der Lage sind, Zeichenträger mit Objekten zu verknüpfen, erschliesst sich zwar bei der Beobachtung des Verhaltens, welche Prozesse aber 'im' Zeichenbenutzer dabei ablaufen, bleibt in dieser Perspektive offen. Im Stile der damaligen Verhaltenspsychologie wird von Morris nur gefordert, dass es irgendwelche Assoziationsmechanismen im Körper gibt, die solche Verbindungen realisieren können. Etablierte R-O-Beziehungen können dann 'Erwartungen' in dem Sinne erzeugen, dass bei dem Auftreten eines Objektes $o'$ unter Voraussetzung einer Zeichenbeziehung $I:O \mapsto R$ sich die Erwartung 'bildet', dass $R$ 'geantwortet' wird.

Betrachten wir dies noch etwas näher.

Würden wir annehmen, dass das zeichenbenutzende System 'fest verdrahtet' ist, dann würde man das Verhalten dieses 'reaktiven Zeichenbenutzers' mit der Verhaltensfunktion $\phi_{react}$ beschreiben:


$\displaystyle \phi_{react}$ $\textstyle :$ $\displaystyle I \times IS \mapsto O$ (42)

Da aber allgemein angenommen wird, dass man nur dann von einem Zeichenbenutzer im engeren Sinne sprechen kann, wenn die Zeichenbeziehung $R \leftrightarrow O$ 'arbiträr' ist, d.h. 'beliebig', muss man von einem 'lernenden' Zeichenbenutzer ausgehen, was entsprechend eine 'lernende' Verhaltensfunktin $\phi_{adapt}$ impliziert:


$\displaystyle \phi_{adapt}$ $\textstyle :$ $\displaystyle I \times IS \mapsto IS \times O$ (43)

Daraus ergibt sich, dass die Menge der internen Zustände $ IS$ mindestens eine Teilmenge $Int \subseteq IS$ enthalten muss, die aus einer Menge von $(R,O)$-Paaren bestehen muss, also


$\displaystyle Int$ $\textstyle \subseteq$ $\displaystyle IS$ (44)
$\displaystyle Int$ $\textstyle =$ $\displaystyle \{(r_{1}, o_{1}), ..., (r_{n}, o_{n})\}$ (45)

Dies bedeutet, dass die Menge der inneren Zustände $ IS$ Teilmengen enthalten kann, die selbst eine Struktur besitzen, in diesem Fall eine Menge von geordneten Paaren, die zusammen eine Interpretationsfunktion $Int$ repräsentieren. Diese Menge kann leicht durch 'Hinzufügungen' oder 'Löschungen' verändert werden. Je 'häufiger' bestimmte R-O-Paare auftreten, umso wahrscheinlichere scheint es zu sein, dass das $R$ das $O$ nach sich zieht und umgekehrt. Man könnte jedes $R-O$-Paar daher auch mit einem 'Zähler, kombinieren, der einen Index $h$ für 'Häufigkeit' darstellt, also $((r_{i}, o_{i),h)}$.

Allerdings ist die Konstruktion einer dynamischen Interpretationsbeziehung $Int$ nur möglich, wenn der jeweilige Systeminput $ I$ hinreichend differenziert ist. Also, wenn $R-O$-Beziehungen konstruiert werden sollen aufgrund des Systeminputs $ I$, dann muss $ I$ selbst eine entsprechende Struktur besitzen. Also müssen wir fordern, dass der Systeminput einen Zechenrepräsentationsanteil $I_{R}$ enthält wie auch einen Objektanteil $I_{O}$. Man könnte den aktuellen Systeminput $I_{i}$ auffassen als eine Momentaufnahme aus einer Sequenz von $\langle
r,o\rangle_{i}$-Elementen, die durch Einwirkung der Weltinputfunktion $ainp: W \mapsto I$ entsteht.

Dies impliziert in der zeitlichen Dimension eine 'Gleichzeitigkeit' der $R-O$-Elemente (innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens). Ferner muss angenommen werden, dass die Welt selbst eine 'räumliche' Struktur besitzt (mindestens 2D), in der die verschiedenen möglichen Objekte $O$ und Zeichenrepräsentanten $R$ unterscheidbare 'Positionen' einnehmen; nur dann lassen sich 'Zuordnungen' vornehmen. Für den Input bedeutet dies, dass diese räumlichen Beziehungen mitkodiert werden müssen, d.h. es gibt die Inputelemente nicht isoliert, sondern in einem räumlichen 'Kontext' (C := 'context'), der im Input $I_{i}$ auf spezifische Weise 'vorkommt' (also z.B. das Objekt $O$ als ein 'visuelles Element' in einem 'visuellen Feld'). Die räumliche Beziehung zwischen der 'Position' des Zeichenbenutzers in der Welt und der 'Position' des Objekts definiert dann eine mögliche 'Richtung' vom Zeichenbenutzer zum Objekt.

Wieweit der räumliche Kontext bei der Repräsentation der $R-O$-Elemente auf irgendeine Weise 'mitkodiert' werden muss, ist im Falle einzelner isolierter Objekte nicht klar erkennbar. In dem Moment, wo aber 'Ereignisse', 'Veränderungen' oder 'Handlungen' beschrieben werden sollen, können diese räumlichen Beziehungen von wesentlicher Bedeutung sein.

Gerd Doeben-Henisch 2014-01-14