Feinstruktur für das korrespondierende Bewusstsein

Figure 4.9: Die angenommene Bewusstseinsstruktur komplementär zur Welt W1
\includegraphics[width=4.0in]{env_wood1_detail.eps}

Das Bild 4.9 zeigt die Wahrnehmungsstruktur, die Wilson in seinem Modell verwendet hat. Ein lernendes System (bei ihm 'ANIMAT' genannt, und nicht semiotisch!) hat ein Wahrnehmungsfeld von $3 \times 3$ Feldern, in dem Objeke der Außenwelt repräsentiert werden. Ferner gibt es in dieser Wahrnehmungsstruktur 8 verschiedene Bewegungsrichtungen plus einen Ausgangspunkt, auf dem man ausharren kann.

Diese Struktur reicht für die lernenden semiotischen Systeme nicht mehr aus.

Figure 4.10: Induktiver Sprachaufbau
\includegraphics[width=4.0in]{InduktiverSprachaufbau2.eps}

Wie aus dem Bild 4.10 erkennbar ist, muss der Input zum System sowohl die wichtigen Objekte $O$ der Außenwelt $W$ repräsentieren, zugleich aber auch benutzte sprachliche Ausdrücke (das Zeichenmaterial) $R$. Diese müssen sich im Rahmen des Bewusstseins repräsentieren lassen, und zwar über mindestens zwei Zeitpunkte $(t,t+n), n > 0$, um mögliche Veränderungen sichtbar machen zu können. Im aktuellen Bewusstsein sind die sprachlichen Ausdrücke zu den Objekten $L_{O}$ bzw. zu den Veränderungen $L_{R}$ nicht verknüpft. Es wird angenommen, dass diese Verknüpfungen im Gedächtnis geleistet werden.

  1. Tiefenstruktur 1: Wortlexikon: In einem ersten Schritt werden identifizierbare Objekte des Bewusstseins $O$ mit identifizierbaren sprachlichen Ausdrücken zu den Objekten $L_{O}$ verknüpft, so dass eine Bedeutungsbeziehung ('meaning relation') entsteht: $M_{o}(O, L_{O})$. Die Gesamtheit aller objektbezogenen Bedeutungsrelationen bilden das Wortlexikon.

  2. Tiefenstruktur 2: Aktivitätslexikon: In einem zweiten Schritt können die Veränderungen von einer Situation zur nächsten auf der Objektseite mit einem sprachlichen Ausdruck für diese Veränderungen verknüpft werden, etwa: $M_{R}(\{O,..\},A, \{O',..\}, L_{R})$. Dies bedeutet, dass es zum Zeitpunkt $t$ ein paar Objekte $\{O,..\}$ gab, dazu eine Aktion $A$ von einem System, und die Objekte haben sich zum nächsten Zeitpunkt $t+1$ in Richtung $\{O',..\}$ verändert. Dieser Übergang wird mit dem sprachlichen Ausdruck $L_{R}$ assoziiert. Die Gesamtheit aller veränderungsbezogenen Bedeutungsrelationen bilden das Aktivitätslexikon.

    Im konkreten Beispiel etwa $M_{essen}(\{S1,'F'\}, 'essen',\{S1,'.'\}, 'essen')$. Dies setzt allerdings voraus, dass die Aktion $essen$ irgendwie beobachtbar ist durch Eigenaktivität des Systems. Eine Frage ist es, ob man solche Veränderungsbeziehungen auch ohne direkt beobachtbare Aktivität eines Systems konstruieren kann, also allgemein $M_{R}(\{O,..\},
\{O',..\}, L_{R})$, konkretisiert in einem Beispiel $M_{essen}(\{S1,'F'\}, \{S1,'.'\}, 'essen')$.

  3. Oberflächenstruktur: Sprachlicher Ausdruck: In einem dritten Schritt kann man in den Beziehungsausdrücken die Objektrepräsentationen durch die zugehörigen sprachlichen Ausdrücke aus dem Wortlexikon einsetzen und bekommt dann einen reinen sprachlichen Ausdruck: $L_{R}(L_{O}, L_{O'})$, z.B. $L_{essen}(\{L_{S1}, L_{futter}\}, \{L_{S1},
L_{leer}\})$.

Der ganze Prozeß ist induktiv und lässt das Zeichenfundierungsproblem ('symbol grounding') erst gar nicht entstehen.

Bezeichnet man die Ausdrücke des Wort- und Veränderungslexikons im Sinne der generativen Grammatik [GG] - in einem gegenüber der GG erweiterten Sinn - als 'Tiefenstruktur' der Sprache und die daraus resultierenden Verkettungen von sprachlichen Ausdrücken als 'Oberflächenstrukturen' (vgl. [135]), dann würde die Tiefenstruktur in der Verarbeitungsstruktur des Systems liegen, während die Oberflächenstruktur in bedingtem Masse 'anpassbar' wäre, also z.B. bzgl. der Wortordnung in der Reihenfolge der sprachlichen Ausdrücke.

Figure 4.11: Erweitertes Bild eines induktiven Sprachaufbaus
\includegraphics[width=5.0in]{InductiveLanguageGeneration.eps}

Damit erweitert sich das Bild des induktiven Sprachlernprozesses um weitere Komponenten, deren Logik noch weiter präzisiert werden muss (vgl. Bild 4.11):

  1. Bewusstsein: Umfasst alle Elemente, die für elementare sprachliche Ausdrücke vorausgesetzt werden müssen, insbesondere Objekte, Veränderungen über zwei Zeitpunkte, sprachliche Ausdrücke. Eventuell weitere Elemente wie z.B. der Zustand der Energie bezogen auf einen Schwellwert.
  2. Lexika: Die Gesamtheit der semiotischen Zuordnungen von Objekten zu sprachlichen Ausdrücken sowie Relationen zu sprachlichen Ausdrücken werden in eigenen 'Lexika' gesammelt.
  3. Episoden: Parallel zur Sammlung der semiotischen Beziehungen werden die verschiedenen Handlungssituationen und ihre Übergänge ineinander im sogenannten 'Episodischen Gedächtnis' gesammelt. Dies erlaubt die Erinnerung von Handlungsfolgen.
  4. Sprechakt: Je nach Situation kann man sprachliche Ausdrücke unterschiedlich nutzen, als Beschreibung, als Frage, als Aufforderung, usw. Davon kann man die Wortstellung abhängig machen. Wie genau es zu dieser Sprechaktformatierung kommt, ist zu präzisieren.
  5. Bewegung: Ob und wie sich ein System bewegt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Diese Bewegungsformation ist noch zu präzisieren.



Gerd Doeben-Henisch 2014-01-14