Zweites Studium: Logik und Wissenschaftstheorie

Vorgeschichte

Anlass zu diesem zweiten Studium war der Auftrag des Ordens gewesen, dass ich mich auf wissenschaftlicher Ebene mit dem Phänomen des "Atheismus" auseinandersetzen sollte, und zwar so, dass ich gleichzeitig auch an den vom Orden wissenschaftlich betreuten Hochschulen (im Gespräch waren Frankfurt, München, Innsbruck) eine Lehrtätigkeit als Professor ausüben könnte. Unter den vielschillernden Aspekten des "Atheismus" aus Sicht der christlichen Theologie spielte dabei speziell das Phänomen der modernen Wissenschaft eine wichtige Rolle: einerseits bejahte die christliche Theologie Erkenntnis und Wissenschaft, andererseits hatte die katholische Kirche (und auch die Theologie) im Laufe der letzten Jahrhunderte immer wieder grosse Probleme damit, die tatsächliche Wissenschaft und ihre Erkenntnisse in ihre Lehre (und ihre Praxis) zu integrieren. Dazu kam, dass sehr viele Menschen (die meisten?), die sich intensiv mit moderner Wissenschaft beschäftigten, sehr bald Probleme hatten, die traditionellen Formulierungen des christlichen Glaubens (sofern sie sich damit überhaupt bewusst beschäftigten) weiterhin annehmen zu können. In der Regel führte dies bei diesen Menschen dazu, den Inhalt des Glaubens selbst in Frage zu stellen. Es bestand von daher ein natürliches Interesse seitens des Ordens darin, diese "kommunikative Bruchstelle" zwischen christlich-katholischem Glauben und moderner Wissenschaft vom Grund her aufzuhellen und mit dazu beizutragen, dass die Glaubensinhalte auch im Rahmen der modernen Wissenschaften keineswegs obsolet werden, sondern, im Gegenteil, vielleicht sogar klarer werden, als dies ohne exliziten Bezug der modernen Wissenschaften möglich ist.

Ich selbst hatte diesen Konflkt zwischen Sprache der modernen Wissenschaft und Sprache des Glaubens immer sehr stark empfunden. Dazu kam die Tatsache, dass es aus meiner Sicht innerhalb der katholischen Kirche auch einen permanenten unterschwelligen Konflikt zwischen den persönlichen Erfahrungen einzelner Menschen und der offiziellen Lehre gab. D.h. der offene Umgang mit der "Empirie", der ja letztlich auch das Fundament der modernen Wissenschaften bildet, war in der katholischen Kirche über Jahrhunderte gleichsam "gedanklich eingekastelt".

Mein Zugang zu diesem Wissensproblem war zusätzlich geprägt durch die Erfahrungen innerhalb des intensiven Theologiestudiums in Sankt Georgen. Ich hate dort hervorragende Theologen kennenlernen können, insbesondere im Bereich der Bibelwissenschaften. In der wissenschaftlichen Arbeit mit den Offenbarungsschriften (altes Testament, Hebräisch (mit lateinischen und griechischen Übersetzungen), neues Testament, Griechisch) zeigte sich, dass der Prozess der Interpretation dieser Texte alles andere als "klar" oder "selbstverständlich" war. Das, was eigentlich -neben der persönlichen Glaubenserfahrung - die Basis des Glaubens bilden sollte und auch von der kirchlichen Lehre immer in diesem Sinne beansprucht wurde, erwies sich als ein durch und durch schwieriges, dunkles Gebiet der Erkenntnis, das bei intensiver Beschäftigung mehr Fragen aufwarf, als es aus sich heraus beantworten konnte. Vor allem zeigte sich, dass das erkennende Subjekt, wir Menschen, wissenschaftlich gesehen, das grösste Niemandsland überhaupt darstellte. Festgemacht am Phänomen der Sprache musste ich feststellen, dass unser Wissen über die "Natur der Sprache", ihrer Entstehung im Menschen, ihre Funktionsweise, die Interaktion mit dem Wissen, das Wissen selbst höchst unklar war. Zugleich war dieses "wisenschaftlich ungeklärte Subjekt" das Fundament der modernen Wissenschaften.

Zu diesem Zeitpunk -Ende der Theologie, Frühjahr 1979- hatte ich also ein brennendes Interesse, anhand des Phänomens der Sprache mich in die Problematik weiter einzuarbeiten. Unterstützt wurde ich in diesem Anliegen von Rupert Lay, der damals u.a. auch der "Atheismusverantwortliche" meiner Ordensprovinz war und der dieses Thema ebenfalls im Kontext der Wissenschaften behandelte.


Erster Anlauf: Philosophie, Theoretische Linguistik, Sinologie und etwas Logik

(SS 79 - SS 83)

Als ich das Studium SS 1979 in München an der Ludwig-Maximilians-Universität neu begann, war mir -trotz vieler Vorklärungen- nicht klar, was für die Aufgabenstellung die optimale Fächerkombination war.

Ich wählte zunächst als Hauptfach die Philosophie mit den Schwerpunkten im Bereich Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie (Anmerkung: ich hatte auch schon während meines vorausgehenden Theologiestudiums sehr intensiv ca. 2.5 Jahre Philosophie studiert, z.T. mit Kontakt zur LMU), dazu die Fächer Theoretische Linguistik und Sinologie. Parallel begann ich mich bei den Logikern und Wissenschaftstheoretikern umzuschauen.

Obwohl die theoretische Linguistik damals sehr gut besetzt war (z.B. Vennemann, Hausser, Jacobs) erwies sie sich aus meiner Sicht als unbefriedigend. Man trieb zwar einen grossen formalen Aufwand (die formalen Instrumente "borgte" man sich aus der Logik und Wissenschaftstheorie bzw. aus der theoretischen Informatik), aber das Phänomen der Sprache, speziell die Frage der sprachlichen Bedeutung, der Entstehung von Bedeutung im Sprecher-Hörer, die Interaktion mit dem Wissen, Lernprozesse, etc. blieb völlig offen. Ausserdem musste ich bei einem Projekt, bei dem es um die Dokumentation der Sprachentwicklung eines 1-jährigen Kindes ging, feststellen, dass die theoretische Linguistik ihren Studenten keinerlei Methoden an die Hand gab, um sich ernsthaft mit empirischen sprachlichen Ereignissen zu beschäftigen. Trotzdem ich prüfungsrelevante Seminarscheine erworben hatte, sah ich in diesem Fach keine interessante Zukunft für meine Aufgabenstellung (Ende 82/ Anfang 83).

Das Studium der Sinologie hatte ich gewählt, einmal, weil ich mir von der Konfrontation mit der chinesichen Sprache interessante alternative Zugänge zu diesem Phänomen versprach, aber auch, weil ich mir dadurch die Gelegenheit versprach, mich intensiver mit der chinesischen Kultur und den chinesischen Menschen beschäftigen zu können (der Jesuitenorden hatte immer eine Schwäche für China gehabt, speziell die deutschsprachigen Jesuiten...). Im Vordergrund stand zu Beginn aber die Sprache selbst. Den ersten Zugang fand ich über zwei jeweils 4-wöchige Intensivkurse der Universität Hamburg, die jeweils monatelang zu Hause vor- bzw. nachgearbeitet wurden. Als ich im Frühjahr 83 das Angebot bekam, zu den Jesuiten nach Taiwan zu gehen, musste ich mich entscheiden: wie wichtig war mir die chinesische Sprache und Kultur?

Währenddessen hatte ich in meinem Hauptfach Philosophie auch eine entscheidende "Grenzerfahrung" gemacht. In einem zweisemestrigen Oberseminar, das nur mit Professoren, habilitierten Assistenten und Doktoranden besetzt war, war es nach zwei Semestern unmöglich gewesen, zu einer abschliessenden gemeinsamen Interpretation von 30 Seiten Transzendentaler Ästhetik der Kritik der reinen Vernunft von Kant zu gelangen, und dies, obwohl alle Teilnehmer mit grösstem Engagement und unter Einbeziehung von zahllosen Methoden Beiträge geliefert hatten. Ich zog daraus den Schluss, dass diese Art von Philosophie offensichtlich nicht in der Lage ist, methodisch basiert gemeinsam akzeptierte Anschauungen zu konstruieren. In Kunst, Kultur, Literatur mag dies vielleicht noch angehen (darüber kann man sich streiten), aber in einer Disziplin, die mit einem sehr hohen Wahrheits- und Wissenschaftsanspruch antritt, war dies aus meiner Sicht nicht akzeptabel.

Mit diesem äusserst negativem Ergebnis hätte ich meine Mission nahezu als gescheitert erklären können, wenn ich nicht doch auch einige sehr positive Entdeckungen gemacht hätte.


Logik und Wissenschaftstheorie, Phonetik, Experimentelle Psychologie

Grundstudium

(WS 83/ 84 - SS 85)

Die Frustrationen mit den Grenzen der theoretischen Linguistik führten mich nach einigen Recherchen zur Phonetik. Für jemanden, der sich für das empirische Phänomen der Sprache in all seinen Facetten interessiert, auch unter der Rücksicht der Simulation von Sprachverstehen und Sprechen durch einen Computer, der ist in der Phonetik richtig aufgehoben. Man wird hier als Ohrenphonetiker zur Transskription gesprochener Sprache genauso trainiert wie mit physikalischer Akustik, Wahrnehmungspsychologie, Neurobiologie des Hörens, Sprachverstehens und Sprechens, physikalischer Signalverarbeitung, Testheorie, Computersimulationen, Computerprogramme zur Schallanalyse, usf. Hier fand ich endlich den Zugang zum Phänomen, den ich eigentlich suchte. Bereitwillig gab ich die theoretische Linguistik (trotz der schon geleisteten Arbeit) auf, arbeitete mich intensiv in die Phonetik ein, und erwarb innerhalb von 2 Semestern alle prüfungsrelevanten Scheine.

Die andere Entscheidung war gegen eine Fortsetzung des Sinologiestudiums gefallen und für eine Intensivierung der Wissenschaft. dazu gehörte die Entscheidung, als zweites Nebenfach die experimentelle Pschologie zu wählen. Die experimentelle Psychologie versteht sich als eine empirische Wissenschaft vom Verhalten des Menschen. Methodisch kontrolliert versucht sie Erkenntnisse über das Zusammenspiel von Umweltreizen, internen Verhaltensstrukturen und den verschiedenen Reaktionsformen des Menschen (bzw. auch der Tiere) zu bekommen. Ich konzentrierte mich auf die Themen Wahrnehmung, Wissen, Gedächtnis, Emotionen und Entwicklung/ Lernen. Neben den Phänomenen selbst (z.B. Gedächtnis) interessierte ich mich speziell auch für die Methoden, mit denen die Psychologie zu ihren Erkenntnissen kommt. Auch hier gelang es mir, in 2 Semstern alle prüfungsrelevanten Scheine zu erwerben. Zwischen Phonetik und experimenteller Psychologie gab es sehr viele interessante Querbeziehungen, die von den jeweiligen Instituten aber nicht ausgenutzt wurden.

Die wichtigste Entscheidung war die für das neue Hauptfach Logik und Wissenschaftstheorie gewesen. Dieses Fach gab es als Magister- und Promotionsstudienfach in ganz Deutschland so nur in München. Bekannt geworden durch Prof. Stegmüller hatte sich in München ein Institut von damals 7 Professoren (Balzer, Blau, Hinst, Käsbauer, v.Kibed, Link, Stegmüller; dazu Gastprofessoren wie z.B. Sneed , Moulines, Nadin ) in Logik und Wissenschaftstheorie gebildet, das eng mit dem Institut für Statistik und der Informatik zusammenarbeitete. Im 8-semestrigen Grundstudium wurden alle wichtigen Themen der mathematischen Logik behandelt (inklusive Theorie der Berechenbarkeit, Entscheidbarkeit, Theorie der Automaten, formale Sprachen), dazu die Geschichte der modernen Wissenschaftskonzepte sowie Themen im Umkreis wissenschaftlicher Theorien (formale Strukturtheorien, Messtheorie, Wahrscheinlichkeitstheorie, Testtheorie usf.). Ich nutzte diese Gelegenheit um mich mit den Grundlagen und Strukturen moderner Theorien auseinanderzusetzen (Was ist eine empirische Theorie? Was heisst messen? usw.) und speziell, um das formale Handwerkszeug zu lernen (Prädikatenlogik, mehrstufige Logiken, mehrwertige Logiken, axiomatische Mengentheorie, Beweistheorie usw.). Ich nutzte die Methoden der Wissenschaftstheorie auch, um die Disziplinen Phonetik und Psychologie zu analysieren. Unter anderem erstellte ich zwei grössere Arbeiten für die Psychologie, in denen ich verschiedene Experimente und deren Ergebnisse wissenschaftstheoretisch analysierte und zeigen konnte, dass drei einzelne Experimente im Bereich Sprachforschung, deren Ergebnisse zunächste keinen Zusammenhang zu haben schienen, bei entsprechender formalen Aufbereitung, sich als drei Aspekte eines einzigen gemeinsamen Handlungs-Modells darstellen liesen. Durch diese Arbeiten entstand dann auch die Idee, die Doktorarbeit im Bereich angewandte Wissenschaftstheorie anzusiedeln, also mit den Mitteln der Wissenschaftstheorie die Arbeiten der Phonetik und der Psychologie so aufzubereiten, dass deutlich wurde, wie z.B. ein Theoriebegriff in der Psychologie aussehen und wie er angewendet werden könnte. Für die Erlangung aller prüfungsrelevanten Scheine in Logik und Wissenschaftstheorie benötigte ich 4 Semester (z.T. mit Vorlauf).


Promotionsarbeit: 1.Versuch
Exkurs in Hardware
(WS 85/86 - WS 87/88)

Nachdem ich die prüfungsrelevanten Scheine in relativ kurzer Zeit erworben hatte, stand nun die eigentliche Promotionsarbeit an. Dies erwies sich als nicht ganz so einfach, trotzdem ich während den vorausgehenden Arbeiten einige Ideen, z.B. die mit dem Theoriebegriff der Psychologie, gesammelt hatte. Dazu kam, dass ich den Stoff von gut vier-fünf Jahren eben nicht wirklich in zwei Jahren erarbeiten konnte, d.h. es gab Themen, da musste ich noch nacharbeiten, obgleich ich die Scheine als solche schon besass. 85/86 wurde so zu einer Übergangszeit, in der ich einerseits in Richtung Theoriebegriff der Psychologie meine Fühler ausstreckte, gleichzeitig noch Themen nacharbeitete.

In diese Zeit fällt auch meine intensive Begegnung mit Computerhardware. Praktisch nutzte ich einen Computer schon seit 1980. Theoretisch hatte ich mich mit der Theorie der Berechenbarkeit, mit rekursiven Funktionen, Turingmaschine und Theorie der Automaten schon im Studium der Logik und Wissenschaftstheorie herumschlagen müssen. Zum damaligen Zeitpunkt war es aber sehr misslich, dass die Personalcomputer grundsätzlich zu wenig Speicher und zu wenig Leistung für interessante Aufgaben hatten, zumindest nicht für die , für die ich sie wissenschaftlich einsetzen wollte. Ausserdem waren sie sehr proprietär und nicht skalierbar. Aus der Not geboren entwickelte ich die Idee eines Computerbaukastens mit einer wissenschaftlich interessanten Sprache, der R-Sprache, wie ich sie nannte.: man nehme ein Bussystem, biete die Möglichkeit, verschiedene CPUs und Memoryboards darauf frei kombinieren zu können (= ein Cube), und diese Cubes kann man wiederum frei zu einem Cluster konfigurieren. Alle damals bekannten Probleme mit den kleinen, langsamen PCs schienen damit lösbar zu sein. Ich zeichnete die Pläne für solch einen Computer, baute in Wire-Wrap-Technik einen Prototypen (1 Schnittstellenkarte zum C64 als Master, 1 CPU-Karte mit dem damals neuen MC 68000, 2 Memoryboards mit jeweils 128 K, alles auf Doppeleuropa-Karten). Die Programmierung des MC 68000 musste zunächst in Maschinensprache vorgenommen werden. Dazu schrieb ich auf dem C-64 in der Sprache C ein entsprechendes Monitorprogramm. Als der Prototyp lief präsentierte ich Ihn der Technik-Redaktion der Computerzeitschrift Chip mit der Idee, diesen Computerbaukasten zu einen Computer der Zeitschrift zu machen, an dem alle Leser weiter mitentwickeln können. Diese Idee fand Anklang und wurde durch die Redaktion zunächst positiv entschieden (siehe auch Bericht in Chip vom Juni 1986). Doch zu diesem Zeitpunkt kamen die (damals fantastischen) neuen Amigas und Ataris auf den Markt, mit eben der MC-68000 CPU und zu einem konkurrenzlosen Preis-Leistungsverhältnis. Zwar waren sie nicht frei konfigurierbar, nicht skalierbar, aber dennoch war damit die Luft draussen. Ich hatte eine gute Idee gehabt, aber in einem schlechten Settting.

86/87 nahmen dann die Vorarbeiten zu einer möglichen Dissertation mit dem Konzept Theoriebegriff der Psychologie konkretere Gestalt an. Dies führte dann aber dazu, dass mein Doktorvater aus dem Bereich Logik und Wissenschaftstheorie mit einem Mal merkte, dass seine Kenntnisse der Psychologie eigentlich nicht ausreichten, um solch eine Arbeit zu betreuen. Ende 87 war dies ein nicht geringes Problem. So einfach kann man kein Thema wechseln, nicht ein Thema im Bereich Logik und Wissenschaftstheorie.


Konflikt mit der Ordensleitung

Das Problem verschärfte sich zusätzlich dadurch, dass die Ordensleitung meiner Provinz gewechselt hatte und der neue Provinzial mir gegenüber im Dezember die Meinung vertrat, dass die vorgesehene Zeit für eine Promotion längst überzogen sei und mit all dem jetzt Schluss sein müsse. Auch die Praxis brauche Leute. Das Gutachten eines Professors vom Fach Logik und Wissenschaftstheorie veranlasste ihn dann aber dazu, mir noch genau 12 Monate zu bewilligen. Ein gekipptes Thema und dann nur noch 12 Monate für 'alles'. Eine scheinbar unlösbare Aufgabe.


Promotionsarbeit
2.Versuch
(April 88 - April 89)

Klar war, dass ich nur eine Chance hatte, wenn ich mich jetzt auf den Bereich Logik und Wissenschaftstheorie konzentrieren würde. Ansonsten bestand wieder die Gefahr, in Gebiete zu geraten, wo der Doktorvater sich plötzlich als nicht mehr zuständig erklärt. Im Bereich Logik hatte mich speziell das Problem der Unentscheidbarkeit immer fasziniert. Aufgrund der Beweise von Gödel und Turing (und Church und anderen...) weiss man, dass es nichtentscheidbare Sätze gibt, aber anhand dieser Beweise kann man keine praktikablen Kriterien gewinnen, um einen Satz gleichsam "anzusehen", ob er möglicherweise unentscheidbar ist. Ferner gab es hier einen Anschluss an das Thema computergestütztes Beweisen ('Automated Theorem Proving'). Aufgrund meiner bisherigen Arbeiten in der mathematischen Beweistheorie wusste ich, dass es die schwache Möglichkeit gab, anhand von vorliegenden Kalkülen zu versuchen, auf indirekte Weise "Indikatoren" für die Eigenschaft, "unentscheidbar zu sein", zufinden. Ohne, dass ich nun die Zeit hatte, dieses Gebiet vorher abklopfen zu können, ob es wirklich neuen Stoff für eine Doktorarbeit bietet, musste ich versuchen, meiner Intuition zu folgen und während der Ausarbeitung prüfen, ob meine Vermutung stimmte oder nicht. ich hatte nur einen versuch. Ich gab der Arbeit folgenden Titel: Nichttheoreme. Eine logische Untersuchung unter Verwendung von Tableauerzeugungen und Reduktionsklassen. Die notwendigen Literaturrecherchen waren zunächst alle positiv, d.h. es gab weder Arbeiten, die das direkt auch schon versucht hatten , noch gab es widersprechende Ergebnisse. Ich entwickelte dann den formalen Rahmen, den man in beweistheoretischen Arbeiten benötigt (dies allein über 100 Seiten Formeln...). Obwohl ich immer sehr intensiv gearbeitet hatte, wurde es jetzt nochmals intensiver, 'bis zum Anschlag'. Als ich die Arbeit dann termingerecht ablieferte, bestand sie aus über 380 Seiten nur Formeln. Mein Doktorvater bestand darauf, dass Sie überarbeitet würde; 100 Seiten zuviel. Wie ich das machen sollte, sagte er natürlich nicht. Wie ich die darauffolgenden 4 Wochen überstanden habe, weiss ich im Nachhinein auch nicht mehr. Jedenfalls habe ich viele Beweise nochmals überarbeitet, gekürzt, komprimiert; ich kam dann auf 217 Seiten "lesbare" Formeln. Das war's dann. Die Arbeit wurde angenommen. Es gab ein summa cum. Im Nachhinein sehr angenehm. Aber damals zählte eigentlich nur, dass es überhaupt gelungen war, dem Problem im "Direktanstieg" interessante Antworten abzutrotzen. Während der Arbeit gab es dann sehr bald eine Phase, da schreibt man komplizierte formale Beweise so, wie andere Leute ihre Liebesbriefe: leicht von der Hand und mit einer gewissen Ekstase...