Warum bin ich keine Maschine?

Thesen zur philosophischen Bestimmung des Mensch-Maschine­Verhältnisses

Von Gerd Döben-Henisch

(1995)



i



Die kreative Intelligenz des Menschen hat im 20. Jahrhundert einen Typ von Maschinen geschaffen, der dem bislang bekannten Charakter von Maschinen eine neue Qualität hinzugefügt hat: diese Maschinen sind 'symbolfähig', d.h. sie können 'wahrnehmen', sie können 'lernen', sie haben ein 'Gedächtnis', sie können 'Schlüsse ziehen', und vieles mehr. Damit zeigen diese neuen Maschinen Eigenschaften, die weit über das hinausgehen, was wir bis dato von Maschinen kannten. Immer mehr nähern sie sich in ihren Leistungen Bereichen, die bislang als 'typisch menschlich' galten.



Schon gibt es auch erste Überlegungen dahingehend, wie es wohl mög­lich sei, zwischen solchen symbolischen Maschinen und einem Men­schen zu unterscheiden. Der in diesem Zusammenhang wohl bekannteste Versuch, solch eine Unterscheidung durchzuführen, ist der soge­nannte 'Turing-Test' [Turing 1950]: Der Entscheider E, der sich in einem anderen Raum befindet als das Testobjekt X, führt mit X mittels eines Bildschirms und einer Tastatur ein 'Gespräch'. Durch die Art und Weise, wie X auf die Fragen und Behauptungen reagiert, muß E entscheiden, ob es sich bei X um einen Menschen oder um eine Maschine handelt.



Aus philosophischer Sicht läßt sich diese frühe Version eines Mensch­-Maschine-Tests - nennen wir ihn Turingl - leicht verallgemeinern. In einer modernisierten Version - Turing2 - darf angenommen werden, daß der Entscheider E dem Testobjekt X direkt gegenübersteht. Ferner wird angenommen, daß die Kunst des Maschinenbaus soweit fortgeschritten ist, daß man Maschinen in eine 'Hülle' stecken kann, die dem äußeren Erscheinungsbild eines Menschen hinreichend ähnlich ist, so daß E auf den ersten Blick nicht entscheiden kann, ob es sich um einen Menschen oder um eine Maschine handelt; Gestalt, Haut und Bewegungsablauf wirken 'menschlich'. Leicht lassen sich Fälle denken, in denen solch eine Maschine deutlich 'bessere' Leistungen aufweist als die meisten Menschen. Der daraus, aufgrund rein verhaltensorientierter Kriterien, möglicherweise resultierende Schluß eines Entscheiders E, daß es sich bei dem Testobjekt X um einen Menschen handelt, obgleich der Versuchsleiter weiß, daß X eine symbolische Maschine ist, zeigt, wie unbefriedigend ein rein verhaltensbezogenes Kriterium zur Bestimmung der 'wahren Natur' von X ist.



ii

Neben der Frage des Unterscheidenkönnens zwischen einem Menschen und einer Maschine wird immer wieder auch die Frage nach dem 'Wesen des Menschen' angesichts symbolischer Maschinen gestellt. Die alltagssprachliche Redewendung 'Ich habe es abgespeichert' statt 'Ich merke es mir' oder der heute immer öfter zu hörende Vergleich des menschlichen Körpers mit der 'Hardware' eines Computers sowie der Gleichsetzung menschlicher Geistigkeit mit der 'Software' sind erste äußerliche Indizien für die zunehmende Neigung, das Wesen des Menschen` über den Umweg der Leistungen einer symbolischen Maschine ebenfalls als eine symbolische Maschine anzusehen. Schon gibt es sogar Philosophen, die sich dieser Auffassung anschließen (siehe z.B. Fodor 1975, Lewis 1983, Putnam 1988). Wenn man sich dieser Ansicht nicht anschließen will, dann muß man Gründe finden, die einen solchen einfachen Analogieschluß von den Eigenschaften einer symbolischen Maschine auf die Natur des Menschen entgegenstehen.



iii

Voraussetzung für einen Vergleich zweier Gegenstände A und B ist normalerweise, daß Vergleichsrücksichten ('Maßstäbe', 'Maßeinheiten'

...) vorliegen, relativ zu denen sich die spezifischen Ausprägungen von A bzw. B einheitlich symbolisch repräsentieren lassen. Ohne solche explizit eingeführten und anwendbaren Vergleichsrücksichten ist nicht klar, worüber man redet.



Für die Mensch-Maschinen-Debatte könnte man sich beispielsweise darauf einigen, nur auf solche Aspekte des Untersuchungsbereiches einzugehen, die sich mit subjekt-unabhängigen Methoden messen las­sen, z.B. die physikalischen Eigenschaften der gesprochenen Sprache. Auf diese Weise könnte man dann in einem bestimmten Umfang gesprochene Äußerungen sowohl von Maschinen wie auch von Menschen messen und in die symbolische Notation einer Protokollsprache SP überführen. Im Ergebnis lägen dann zwei Protokolle P1 und P2 vor, die die Datenbasis für die Diskussion bilden würden.



In Verallgemeinerung dieses Beispiels muß man fordern, daß man für alle Eigenschaften des Untersuchungsbereiches, die man in einen Ver­gleich einbeziehen will, Meßmethoden verfügbar haben muß, deren Daten sich dann mit den Mitteln einer Protokollsprache SP symbolisch repräsentieren lassen. Eine solche Protokollaussage - symbolisch verkürzt wiedergegeben mit E(k,i,x,w) - kann aber nur 'singuläre' Ereignisse protokollieren: für das 'Objekt' x läßt sich zum 'Zeitpunkt' t an der 'Stelle' k die'Eigenschaft' E mit dem 'Wert' w messen.

Allgemeinere Aussagen wie Beziehungen zwischen verschiedenen Eigenschaften, weitere Abstraktionen sowie gesetzmäßige Zusammen­hänge sind auf diese Weise nicht zu gewinnen. Um solche allgemeine­ren Aussagen machen zu können, benötigt man eine 'Theorie'. Zusätz­lich muß die Beziehung einer Theorie zu den verschiedenen möglichen Protokollen genau definiert sein {Zur Geschichte und Problematik von Protokollaussagen und deren Beziehung zu einer Theorie siehe z.B. F. Suppe (ed) 1977, 2nd ed. 1979).



In dieser Untersuchung wird davon ausgegangen, daß eine Theorie T immer als Text vorliegt, dessen Aussagen ausnahmslos der Theorie­sprache ST (z.B. der Sprache der Mengentheorie) zugehören. In einer 'interpretierten' Theorie müssen sich einige der Begriffe und Beziehungen der Theorie T mit meßbaren Ereignissen in Beziehung setzen lassen. Dies geschieht am einfachsten dadurch, daß einerseits alle Aussagen E(...) eines Protokolls auch Aussagen der Theorie sind - die Eigenschaften E einer Protokollsprache nennt man auch 'deskriptive Terme' - sowie dadurch, daß die Eigenschaften E einer Protokollsprache mit einigen Begriffen der Theorie - den sogenannten 'theoretischen Termen' - in Beziehung gesetzt werden (z.B. durch Typisierung) (Zur Diskussion um den Begriff der empirischen Theorie vgl. z.B. G. Ludwig 1978, Bas C. van Fraassen 1980, W. Balzer / C. u. Mouliraes /J.D. Snced 1987).



Im Falle des Mensch-Maschine-Vergleichs müßte also angenommen werden, daß es zwei Untersuchungsbereiche U1 und U2 gibt: In U1 würde der Mensch Untersuchungsgegenstand sein und in U2 die sym­bolischen Maschinen. Ferner muß es für beide Bereiche eine gemein­same Menge von Meßverfahren M1, ..., Mn geben, die in gleicher Weise sowohl auf U1 wie auch auf U2 angewendet werden und die die beiden Protokollmengen P1 und P2 erzeugen. Ferner ist anzunehmen, daß es zu beiden Protokollmengen jeweils eine Theorie Tl und T2 gibt, die allgemeine Zusammenhänge formuliert, die über die Daten von Pl und P2 hinausgehen (Was ist die Quelle für solche datenüberschreitenden allgemeinen Zusammenhänge?). Ein Vergleich der beiden Untersuchungsbereiche U1 und U2 würde dann dadurch stattfinden, daß man die beiden Theorien Tl und T2 auf der Ebene ihrer symbolischen Repräsentationen 'vergleicht'. Letzteres Vergleichen wäre aber nur möglich, wenn auf der symbolischen Ebene der beiden Theorien genau definiert wäre, was es heißt, daß zwei Theorien 'gleich', 'ähnlich', 'isomorph' oder dergleichen mehr sind (Beispiele für solche intertheoretischen Relationen finden sich z.B. in Bourbaki 1970, dessen Theoriebegriff auch die Grundlage für Ludwig bildet).

Formale Theorien, die einen solcherart definierten Zusammenhang mit meßbaren Eigenschaften aufweisen, nennt man gewöhnlich empirische Theorien.



iv

Weder für den Menschen noch für symbolische Maschinen gibt es heute Theorien, die im soeben skizzierten Sinne als empirische Theorien im vollen Sinne aufzufassen sind.

Im Falle symbolischer Maschinen ist dies allerdings kein größerer Nachteil, da der Begriff der symbolischen Maschine nicht aufgrund von empirischen Beobachtungen entstanden ist, sondern als 'mathematische Theorie' am Schreibtisch von Alan Matthew Turing erfunden wurde (Turing 1936/7). Neben der Turingmaschine gibt es eine ganze Reihe anderer mathematischer Theorien, die sich zur Turingmaschine als formal äquivalent erweisen ließen (z.B. Rekursive Funktionen, Ersetzungssysteme, Lambda-Kalkül u.a.m. Zum Überblick siehe z.B. Minsky 1969, Hermes 1971). Die mathematische Theorie der Turingmaschine als Prototyp einer symbolischen Maschine liegt vollständig vor. Gleichzeitig gibt es heute viele Millionen 'konkrete' Maschinen (bekannt als PCs, Laptops, Mainframes, Server etc.), die sich relativ zur mathematischen Theorie als 'Instanzen' dieser mathematischen Definition ausweisen lassen, allerdings immer mit gewissen Einschränkungen, was die verfügbare Speicherkapazität für Daten angeht. Konkrete Maschinen sind immer 'endlich', während die mathematische Definition eines 'endlichen' Speichers in unserer konkreten Welt eine 'praktische Unendlichkeit' bedeutet.

Beim Menschen sind die Verhältnisse genau umgekehrt: der Mensch ist primär ein reales, konkretes Ereignis, dessen allgemeine Struktur im Umgang mit diesem Ereignis allererst bestimmt werden muß. Im Falle des Menschen muß daher die 'passende' Theorie TI erst noch'gefunden' und 'formuliert' werden.



v

Obzwar empirische Disziplinen wie die Biologie, die Physiologie, die experimentelle Psychologie, die Phonetik und viele andere erste empirische Aussagen über den Menschen liefern konnten, muß man doch feststellen, daß trotz aller bisheriger Erfolge dieser Disziplinen, ihre methodischen Mängel im Bereich der Theoriebildung noch erheblich sind. Zugleich sind viele Verhaltensweisen und Eigenschaften des Menschen noch nicht aufgehellt. Dies gilt für die meisten kognitiven Prozesse wie z.B. für das Denken, die Struktur und die Arbeitsweise des Gedächtnisses, die Interaktion der unterschiedlichen kognitiven Prozesse mit den verschiedenen Arten von Gefühlen, für alle Arten von Lernprozessen, insbesondere auch für das Erlernen von Sprache im Wechselspiel mit dem Erwerb von Weltwissen; und vieles mehr. Ziemlich sicher wird man mit weiteren interessanten empirischen Erkenntnissen in der Zukunft rechnen dürfen, doch muß man sich vor Augen halten, daß die empirische Vorgehensweise durch ihre methodische Selbstbeschränkung auf einen bestimmten Typ von Meßverfahren eine Begrenzung ihrer Erkenntnis festgeschrieben hat, die philosophisch relevant ist und eine Selbstüberschreitung des empirischen Erkenntnisparadigmas verlangt.



Der empirische Ansatz bei der Untersuchung des Menschen beschränkt sich ausschließlich auf das, was man beim Menschen 'äußerlich' messen kann. Bewußtseinstatsachen sind in diesem Rahmen höchstens in der Form zulässig, daß Reaktions- und Äußerungswerte gemessen werden, deren 'Verankerung im Psychischen' man postuliert, aber empirisch nicht aufweisen kann.

Empirische Theorien haben ferner die grundsätzliche Schwäche, daß sie sich nicht 'auf sich selbst' anwenden lassen, d.h. keine empirische Theorie kann ihre eigene Entstehung beschreiben (Nagel 1986).

Diese Defizite verlangen nach einer philosophischen Klärung.



vi

Die philosophische Klärung besteht darin, daß derjenige, der eine empirische Theorie aufstellt, sich selbst, als den Produzenten der Theorie, in die Reflexion einbeziehen muß. Denn obgleich eine empirische Theorie dadurch definiert ist, daß sie in ihren Begriffen und Aussagen von den individuellen Zuständen des jeweiligen Theorieproduzenten unabhängig sein soll, ist sie deswegen in ihrer tatsächlichen Anwendung dennoch nicht unabhängig vom Theorieproduzenten bzw. -konsumenten als solchem. Der gesamte Perzeptions- und Kognitionsapparat sowie die Sprachkompetenz eines Theorieproduzenten gehen als quasi invariante Strukturelemente in die Theoriebildung ein, da sie bei jedem, der die Theorie anwendet, als stillschweigend gegeben angenommen werden müssen.



So setzt schon eine so 'einfach' erscheinende Definition wie die des 'Urmeters' voraus, daß alle Beteiligten über eine einheitliche Struktur von 'Tastempfindungen' verfügen müssen, über die sich hinreichend leistungsfähige Konzepte von 'räumlichen' Objekten samt zugehörigen Vergleichsoperationen entwickeln lassen, dazu ein Sprachsystem, das eine 'hinreichend klare' Verständigung über die Verwendungsweise dieses Urmeters im Kontext von Meßvorgängen erlaubt. Die Komplexität dieser Voraussetzungen ist geradezu abgründig und bis heute wissenschaftlich höchstens ansatzweise beschreibbar.



viii

Will man nun die hier geforderte philosophische Klärung der eigenen Voraussetzungen unter Berücksichtigung aller Erkenntnismnstände, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Momentes der Sprache, tatsächlich durchführen, und zwar so, daß das Ergebnis dieser Refle­xion sprachlich in Form einer Theorie - und zwar in einer 'philosophischen' Theorie! - zugänglich ist, dann bedingt dies einen umfangreichen Aufweis, der im vorliegenden Rahmen bestenfalls nur angedeutet werden kann. Dies soll hier geschehen. Die philosophische Position, die dadurch sichtbar wird, ist mit dem Etikett des (sprachkritischen) 'epistemischen Panempsychismus' nur unzulänglich charakterisiert.



In Übereinstimmung mit Mach und Husserl (Mach 1911, Husserl 1913) wird die Erkenntnissituation des einzelnen zum authentischen Aus­gangspunkt der Überlegungen genommen. Die primären Daten des Erkennens sind nicht Meßwerte, sondern Sinnesdaten, Empfindungen, bemerkbare Körperzustände, erlebbare Vollzüge wie Vorstellen, Erinnern, Denken und Sprechen. All dieses zusammengefaßt unter dem technischen Begriff des 'Phänomens'. Erst sekundär lassen sich diese Phänomene aufgrund der ihnen inhärierenden Eigenschaften differenzieren, klassifizieren und strukturieren. Die 'empirischen Phänomene' sind in dieser Einstellung nur eine spezielle Klasse aller Phänomene. Begriffe wie 'Außenwelt' und 'Fremdes Bewußtsein' sind kognitive Konstruktionen auf der Basis dieser Phänomene, die sich als 'unbrauchbar' erweisen können.







ix

Mach und Husserl haben allerdings dem Problem der Sprache zu wenig Beachtung geschenkt. Die sprachliche Artikulation einer Erkenntnis impliziert ein komplexes Netz von Voraussetzungen, Konventionen, Bedeutungen, die ineinander arbeiten müssen, damit sprachliche Kom­munikation gelingen kann. Andererseits müßte dieses komplexe System der Sprache selbst Gegenstand der Untersuchung sein. Letzteres ist aber nur phasenweise und auch bestenfalls nur in Annäherungen möglich. Die verborgenen Fallstricke der Alltagssprache als Medium unserer Erkenntnis hat als erster Wittgenstcin (Wittgenstein 1958) auf meisterhafte Weise thematisiert. Sein eigener konstruktiver Ansatz, der sich angesichts vielerlei aphoristischer Fragmente nur erraten 1äßt, scheint allerdings auf einen platten Behaviorismus hinaus zu laufen. Die Unzulänglichkeiten eines behavioristischen Ansatzes im Kontext der Sprachtheorie ist aber spätestens mit Chomskys vernichtender Rezension an dem Buch 'Verbal Behavior' von Skinner offenkundig (Vgl. Skinner 1957; Chomsky 1959). Im Rahmen eines sprachkritischen epistemischen Panempsychismus erweist sich die Sprachkritik von daher als eine Daueraufgabe, für die ein wirkliches Ende nicht abzusehen ist.



x

Nach diesen Vorklärungen wäre es dann möglich, den Begriff der 'philosophischen Theorie' einzuführen. Darunter ist eine formale Theorie zu verstehen, die ihre inhaltliche Deutung über die Zuordnung zu Tatbeständen des Bewußtseins erhält. Dieses Vorgehen ist nicht zu verwechseln mit jenem Carnap in seinem Buch "Der logische Aufbau der Welt" (Carnap 1928, Moulines 1991). Carnap bewegt sich mit seinem Projekt ausschließlich im Rahmen eines logischen Kalküls, um, ausgehend von wenigen Grundbegriffen, alle anderen mittels einiger weniger Axiome und den Regeln des Kalküls zu definieren. In keiner Weise war ihm daran gelegen, die 'Mechanik des Bewußtseins selbst' nachzubilden. Dies aber ist gerade die Aufgabe einer philosophischen Theoriebildung: Repräsentation der Bewußtseinstatbestände und ihrer Dynamik in einer formalen Struktur. Die philosophisch interessante Frage ist die, wieviele der intuitiv interessanten Sachverhalte des Bewußtseins sich auf diese Weise im Rahmen einer formalen philosophischen Theorie zur Darstellung bringen lassen. Wenn auf diese Weise ein Philosoph A eine Struktur Sl definiert und ein Philosoph B eine Struktur S2, dann müßten diese beiden Strukturen zueinander mindestens isomorph sein, um als Basis für eine 'gemeinschaftliche' Theoriebildung dienen zu können. Die bekannten empirischen Theorien müssen sich als Teiltheorien innerhalb einer so verstandenen philosophischen Theorie formulieren lassen, nicht aber umgekehrt.



xi

Dieses soeben geschilderte Konzept einer philosophischen Theorie - zum jetzigen Zeitpunkt allerdings mehr ein 'Programm' denn eine aus­geführte Theorie - erlaubt auch die Einführung von Simulationsexperimenten im Rahmen der Philosophie. Auf der Basis einer formalen philosophischen Theorie lassen sich nämlich algorithmische Prozesse definieren, die zumindest Teile einer Bewußtseinsstruktur samt ihrer Dynamik nachzubilden vermögen. Die philosophisch interessante Frage ist hier, bis zu welchem Grad sich die in der formalen philosophischen Theorie erfaßten Strukturen und Dynamiken des Bewußtseins in einem Simulationsmodell nachbilden lassen.



xii

Damit schließt sich der Kreis. Die Frage, warum man als Mensch keine Maschine ist, wurde in die Frage transformiert, wieweit sich das, was sich in einer formalen philosophischen Theorie zum Bewußtsein des Menschen sagen läßt, algorithmisch nachbilden 1ä13ßt. Dabei gilt die generelle Einschränkung, daß schon der Prozeß der Ausformulierung einer philosophischen Theorie ein in sich nicht voll beschreibbarer Prozeß ist. Das Gödelsche Unvollständigkeitstheorem (Gödel 1931, Weibel / Köhler 1986) ist in diesem Zusammenhang in der Form der prinzipiellen Unabgeschlossenheit jeder philosophischen Theorie virulent. Man wird an dieser Stelle daher konstatieren müssen, daß die Frage nach dem Maschinencharakter des Menschen aufgrund der prinzipiellen Grenzen der Selbstbeschreibung des Menschen als eine unbeantwortbare Frage anzusehen ist. M.a.W. selbst wenn wir tatsächlich symbolische Maschinen wären, wir wären nicht in der Lage, dies abschließend zu erkennen.



xiii

Die Einbeziehung formaler Theorien und von Simulationsmodellen in die philosophische Theoriebildung eröffnet erstmalig in der Geschichte der Philosophie die Möglichkeit, daß auch Philosophen gemeinschaftlich eine Theoriebildung betreiben können.





Literatur



W. Balzer / C. U. Moulines / J.D. Sneed (1987), An Architectonic for Science. The Structuralist Program, Dordrecht.

N Bourbaki (1970), Elements de Mathematique. Theorie des Ensembles, Hermann, Paris.

R. Carnap (1928, 4. Auf]. 1974), Der logische Aufbau der Welt, Felix Meiner Verlag, Hamburg.

N. Chomsky (1959), Review of Skinner's Verbal Behavior in: Language, vol. 35 (1959), pp. 26-58.

J.A. Fodor (1975), The Language of Thought, Thomas Y. Crowell Comp., New York.

K. Gödel (1931), Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I, in: Monatshefte f. Mathem. u. Physik, Vol. 38, pp. 173-198.

H. Hermes (1960, 2. Aufl. 1971), Aufzählbarkeit, Entscheidbarkeit, Berechenbarkeit. Einführung in die Theorie der rekursiven Funktio­nen, Springer-Verlag, Berlin.

E. Husserl (1913), Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phäno­menologischen Philosophie, E. Ströker (ed.), Felix Meiner Verlag, Hamburg.

D. Lewis (1983, dt. 1989), Ein Argument für die Identitätstheorie, in: "Die Identität von Körper und Geist", transl. A. Kemmerling, Vittorio Klostermann, Frankfurt, S. 19.

G. Ludwig (1978), Die Grundstrukturen einer physikalischen Theorie, Springer, Berlin - Heidelberg - New York.

E. Mach {1886, 6. korr. Auf]. 1911, 1985 repr. von 9. Aufl. 1922), Die Analyse der Empfindungen, Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt.

M Minsky (1967), Computation: Finite and Infinite Machines. Prentice Halle, Englewood Cliffs (NJ).

C. U. Moulines (1991), Making Sense of Carnap's 'Aufhau', in: Erkenntnis, vol. 35, pp. 263-286, Kluwer Academic Publishers.

Th. Nagel (1986), The View from Nowhere, Oxford University Press, New York, Oxford.

K Putnam (1991., engl. 1988), Repräsentation und Realität, trausl. J. Schulte, Suhrkamp, Frankfurt.

B.F Skinner (1957), Verbal Behavior, Appleton-Century-Crofts, lnc., New York.

F Suppe (ed., 1977, 2. Auf]. 1979), The Structure of Scientific Theories, University of Illinois Press, Urbana - Chicago - London.

A.M. Turing (1936-7), On Computable Numbers with an Application to the Entscheidungsproblem, In: Proc. London Math. Soc., Ser. 2, vol 42, pp. 230-265; corr. vol. 43, pp. 544-546.

A.M. Turing (1950), Computing machinery and intelligence, In: Mind, vol. 59, pp. 433-460.

Bas C. van Fraassen (1980), The Scientific Image, Oxford Univers. Press, New York.

P. Weibel / E. Köhler (1986), Gödels Unentscheidbarkeitsbeweis. Ideengeschichtliche Konturen eines berühmten mathematischen Satzes, in: F. Kreuzer, "Gödel-Satz, Möbius-Schleife, Computer­Ich", Franz Deuticke Verlagsgesellschaft mbH, Wien, pp. 72-101.

L. Wittgenstein (1958, 3. Aufl. 1975), Philosophische Untersuchungen, Suhrkamp, Frankfurt.